Der 2. Strafsenat - Staatsschutzsenat - des Oberlandesgerichts Koblenz hat heute – am 31. Hauptverhandlungstag – die 37 Jahre alte deutsche Staatsangehörige Nadine K. wegen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, Freiheitsentziehung und Verfolgung, Beihilfe zum Völkermord durch Ausrottung, Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Ausrottung, Vertreibung und sexuelle Gewalt, Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen Personen durch sexuelle Gewalt und Vertreibung, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung und mit schwerer Freiheitsberaubung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Im Übrigen hat der Senat die Angeklagte freigesprochen.
Der Senat sieht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter Zugrundelegung, dass es sich bei dem Islamischen Staat (IS) um eine terroristische Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuches handelt und der Angriff des IS auf die im Sindjar-Gebirge lebende jesidische Bevölkerung im August 2014 sowie die dem Angriff folgenden Gräueltaten als Völkermord in Sinne des Völkerstrafgesetzbuches einzustufen sind, unter anderem folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
I. Vortatgeschehen
Anfang 2013 lernte Nadine K., nachdem sie ihr Studium der Wirtschaftsinformatik nach dem 5. Semester abgebrochen hatte, in Nordrhein-Westfalen ihren zukünftigen Ehemann kennen. Er war ein syrischer Arzt, der während des arabischen Frühlings in Syrien Gegner des Assad-Regimes in Lazaretten versorgt hatte. Diese Tätigkeit führte dazu, dass er sich Verfolgungsmaßnahmen seitens des Regimes ausgesetzt sah. Um sich und seine Familie zu schützen, täuschte er seinen eigenen Tod vor und floh nach Deutschland. In der Folge wurden Nadine K. und er ein Paar.
Nadine K. war auf Sinnsuche, weshalb sie sich bereits mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen befasst, aber noch keine für sie befriedigenden Antworten gefunden hatte. Der zukünftige Ehemann war Moslem, weshalb sich Nadine K. mehr und mehr mit dem Islam beschäftigte und zu beten begann. Nach einiger Zeit entschloss sie sich ein Kopftuch zu tragen. Im Juli 2013 heirateten die beiden in Deutschland nach Islamischem Ritus und Nadine K. konvertierte zum Islam.
Nachdem Nadine K. und ihr Ehemann zunächst gemeinsam in Idar-Oberstein gewohnt hatten, fasste ihr Ehemann im Sommer 2014 den Entschluss, nach Syrien zurückzugehen, um dort als Arzt zu arbeiten. Die Angeklagte folgte ihm im Dezember 2014.
II. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung – dem IS (§§ 129 a und b StGB)
Zur Überzeugung des Senates steht fest, dass sich sowohl Nadine K. als auch ihr Ehemann in Kenntnis seiner Ziele, Erwartungen und Methoden willentlich dem IS anschlossen haben. Nadine K. und ihr Ehemann gliederten sich nach ihrer Ankunft im Herrschaftsgebiet des IS unter Befürwortung der Ideologie und der Vorgehensweise des IS in die Organisation ein, ordneten sich dem Willen des IS unter und entfalteten Tätigkeiten zur Förderung seiner Ziele. Als äußeres Zeichen legten sie ihre bürgerlichen Namen ab. Der Ehemann trug die für männliche Mitglieder des IS typische Kleidung, während Nadine K. die für Frauen in der Öffentlichkeit verbindlich geltenden Kleidungsvorschriften des IS befolgte.
Nadine K. wohnte zunächst gemeinsam mit ihrem Ehemann für eine Woche in Syrien, um von dort aus nach Mossul ins Herrschaftszentrum des islamischen Staates im Irak weiterzureisen. Hier arbeitete der Ehemann der Angeklagten als Arzt für den IS und erhielt von diesem sein Arbeitsentgelt. Dies umfasste auch die Versorgung seiner Familie, also seiner Ehefrau und später seiner Kinder, so dass Nadine K. nicht arbeiten musste. Entsprechend kümmerte sie sich zunächst nur um den Haushalt und später um die Erziehung der zwei in den Jahren 2015 und 2017 geborenen Töchter. In Mossul bezog die Familie eine große Villa, in der sie jedenfalls von Juni 2015 bis Mai 2016 lebten.
Nadine K. und ihr Ehemann nahmen nach Genehmigung und gegen Bezahlung des IS in ihrer Villa verschiedene IS-Frauen zwecks Beherbergung und Versorgung auf. Es handelte sich um Frauen, die nach den Regeln des IS nicht alleine Leben durften und deren Ehemänner entweder bei Kämpfen ums Leben gekommen waren oder sich im Kampfeinsatz befanden. Teilweise waren die Frauen geschieden.
III. Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz
Ebenfalls hat der Senat festgestellt, dass Nadine K. während ihres Aufenthalts in dem Haus in Mossul gemeinsam mit ihrem Ehemann im Schlafzimmer ohne die hierfür erforderlichen Genehmigungen oder Erlaubnisse Sturmgewehre des Typs Kalaschnikow sowie weitere Waffen aufbewahrte.
IV. Versklavung – Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch
Schließlich hat der Senat festgestellt, dass der Ehemann im April 2016 die damals 21-jährige jesidische Zeugin A. in den gemeinsamen Haushalt in Mossul brachte. Seit dem Angriff auf die Sindjar-Region und der Verschleppung der Zeugin aus ihrer Heimat im August 2014 hatte diese unterschiedlichen Männern als Haushalts- und Sexsklavin zur Verfügung stehen müssen und sie war gezwungen worden, zum Islam zu konvertieren und entsprechend der muslimischen Gepflogenheiten regelmäßig zu beten.
Der letzte „Eigentümer“ war beim IS in Ungnade gefallen, so dass der IS ihm die Zeugin wegnahm. Die Zeugin wurde in das Krankenhaus in Mossul gebracht, in dem der Ehemann von Nadine K. als Arzt für den IS tätig war. Der Ehemann erhielt die Zeugin als „Geschenk“. Er nahm die Zeugin mit nach Hause in die Villa und stellte sie seiner Ehefrau als seine Sklavin vor.
Der Senat ist nach der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass Nadine K. und ihr Ehemann die Zeugin zunächst im Haushalt in Mossul und später an den verschiedenen Wohnorten in Syrien als ihr Eigentum angesehen haben und sie gezwungen haben, den Haushalt zu führen. Sie musste früh morgens bis spät abends kochen, putzen, Tiere versorgen sowie die Töchter von Nadine K. versorgen. Nadine K. selbst übernahm – mit Ausnahme des Kochens – keine Aufgaben mehr im Haushalt und bestand darauf, dass die beherbergten IS-Frauen der Zeugin nicht zur Hand gehen durften. Sie sollten nicht einmal mit ihr sprechen.
Nadine K. hat nach den Feststellungen des Senats dabei dafür gesorgt, dass die Zeugin das Haus nicht ohne Begleitung verlassen oder anderweitig fliehen konnte. In Mossul nahm sie ihr die Abaya, die schwarze Kleidung weg, ohne die sich im Herrschaftsgebiet keine Frau außerhalb des Hauses bewegen konnte. Zudem wurde nachts das Haupttor abgeschlossen. In Mossul erfolgte eine Überwachung durch Kameras. Eine Kontaktaufnahme der Zeugin zu ihrer Familie wurde verhindert.
Im Sommer 2016 verließ Nadine K. mit ihrer Familie Mossul und zog weiter nach Syrien. Die Zeugin nahmen sie mit, da sie sie als ihr Eigentum betrachteten. Es folgten mehrere Umzüge in Syrien. Je mehr Gebiete der IS in dieser Zeit verlor, desto weiter zogen sich Nadine K. und ihr Ehemann mit den Kindern und der Zeugin zurück, so dass sie stets auf dem verbleibenden IS-Gebiet leben konnten.
Die Zeugin war über einen Zeitraum von drei Jahren bei Nadine K. und ihrem Ehemann als Sklavin. In diesem Zeitraum vergewaltigte der Ehemann die Zeugin regelmäßig, was Nadine K. nach den Feststellungen des Senats wusste und was sie durch ihr Handeln im Übrigen erst möglich machte.
In Baghouz – dem letzten Aufenthaltsort der Familie – ließ der Ehemann von Nadine K. die Zeugin frei, weil er sie ansonsten nicht mit auf die geplante Flucht hätte nehmen können. Dies akzeptierte Nadine K. wiederum in konsequenter Umsetzung der IS-Regeln und behandelte die Zeugin fortan nicht mehr wie eine Sklavin.
Am 8. März 2019 nahmen kurdische Kräfte Nadine K., ihren Ehemann, die beiden Kinder und die Zeugin bei der Flucht aus Baghouz fest.
V. Nachtatgeschehen
Der Ehemann von Nadine K. kam nach der Festnahme in ein Gefängnis. Sein Verbleib ist ungeklärt. Nadine K., ihre Kinder und die Zeugin kamen gemeinsam in ein Lager in Syrien, später in ein weiteres Lager. Ab Dezember 2020 wurden erste Rückführungen nach Deutschland möglich. Dies wurde von der Angeklagten zunächst abgelehnt. Erst 2022 entschloss sie sich, nach Deutschland zurückzukehren. Sie wurde am 30. März 2022 zurückgeführt und befindet sich seit dem 31. März 2022 in Untersuchungshaft. Der Zeugin A. gelang es mit Hilfe eines irischen Journalisten, dem sie sich anvertraut hatte, im Juni 2019 nach fast fünfjähriger Gefangenschaft, das Lager zu verlassen und zu ihrer Familie zurückzukehren. Sie leidet nach den Feststellungen des Senats nach wie vor erheblich unter den Folgen der ihr gegenüber begangen Straftaten.
VI. Freispruch im Übrigen
Soweit Nadine K. in der Anklageschrift eine Plünderung durch die Inbesitznahme und das Bewohnen der Villa in Mossul und damit eine völkerrechtswidrige Aneignung vorgeworfen worden ist, vermochte der Senat nicht die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung zu gewinnen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es besteht die Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof.