Heute ist in Koblenz die 73. Tagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs zu Ende gegangen. Unter dem Vorsitz des Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz Thomas Henrichs haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über aktuelle rechtspolitische Fragen und Themen der gerichtlichen Praxis beraten.
Die Präsidentinnen und Präsidenten haben sich in einem Beschluss dafür ausgesprochen, in einem Rechtsstaatspakt 2.0 die gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Ländern zur Stärkung der Dritten Gewalt fortzusetzen. Nach einhelliger Überzeugung der Tagungsteilnehmer müssen alle Dienste im Bereich der Justiz personell weiter verstärkt werden, um die bisher erzielten Erfolge und die Erledigung neuer gesetzlicher Aufgaben zu sichern. Darüber hinaus sehen die Präsidentinnen und Präsidenten in der Digitalisierung der Justiz, insbesondere der zeitgemäßen Ausstattung mit einer leistungsfähigen, stabilen und anwenderfreundlichen eAkte, der Weiterentwicklung von „e-justice“, der IT-Sicherheit sowie dem Ausbau von Online-Verhandlungen und mobilem Arbeiten, ein Zukunftsprojekt von überragender Bedeutung, um den Anforderungen an eine zügige und bürgernahe Rechtsgewährung gerecht zu werden. Deshalb befürworten sie den Beschluss der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 16. Juni 2021 zur Fortschreibung und Intensivierung des Rechtsstaatspakts und fordern die Bundesregierung auf, diesen Pakt durch einen erneuten Finanzzuschuss substantiell zu unterstützen.
Als weiteren Themenschwerpunkt haben die Präsidentinnen und Präsidenten die erheblichen Herausforderungen durch massenhaft in gleich gelagerten Fällen eingereichte Zivilklagen, namentlich derzeit in „Dieselfällen“, erörtert. In einem Beschluss zur Problematik der Massenverfahren erklären sie, dass selbst bei Ausschöpfung aller organisatorischen, technischen und personellen Möglichkeiten eine Bewältigung in der gebotenen Qualität und Zeit schlechterdings nicht möglich ist. Zugleich konstatieren sie, dass Streitentscheidungen in wesentlichen Bereichen der Zivilrechtspflege unerledigt bleiben und die Verfahrensdauer in allen Bereichen stark ansteigt. Sie haben festgestellt, dass die herkömmlichen Verfahren der Musterfeststellungsklagen nicht zu den gebotenen schnellen Lösungen von Rechtsfragen beitragen und die Erwartungen der Verkehrskreise nicht erfüllen. Die Präsidentinnen und Präsidenten halten eine schnelle Herstellung der Handlungsfähigkeit durch ergänzende gesetzgeberische Maßnahmen im Verfahrensrecht, ggfs. auch im materiellen Recht, für geboten. Diese müssen auch die Veränderungen des Rechtsdienstleistungsmarktes in den Blick nehmen. Nach Auffassung der Tagungsteilnehmer dürfte es sich anbieten, Änderungen spätestens mit der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie zu verbinden. Die Präsidentinnen und Präsidenten bieten eine aktive Einbringung der vielfältigen Erfahrungen bei der Bewältigung von massenhaften Klagen im Gesetzgebungsverfahren an. Eine enge Beteiligung der Praxis halten sie für unumgänglich.
Die Einsatzmöglichkeiten künstlicher Intelligenz in der Justiz waren ein weiteres Schwerpunktthema der Tagung. Einen „Rechtsprechungsautomaten“ schlossen die Präsidentinnen und Präsidenten auch für die Zukunft aus. Es soll bei der richterlichen Entscheidungsverantwortung bleiben. Die Tagungsteilnehmer sind der Überzeugung, dass nur die Entscheidungsfindung durch den Menschen dem Wesen des Rechtsstaates ausreichend Rechnung trägt und den qualitativen Anforderungen an die Rechtsprechung genügt.
Die Arbeit der Gerichte sinnvoll unterstützen kann intelligente Software dagegen im Vorfeld der richterlichen Tätigkeit. Die Einführung der elektronischen Akte, die bereits heute in weitem Umfang die herkömmliche Papierakte ersetzt, bietet insoweit vielfältige Einsatzmöglichkeiten, etwa beim Zuordnen digital eingehender Schriftsätze und beim Anlegen der elektronischen Akte.
Ausgetauscht haben sich die Tagungsteilnehmer auch zu den Auswirkungen des Starkregenereignisses am 14. / 15. Juli 2021. Die Präsidentin und die Präsidenten der von der Hochwasserkatastrophe betroffenen Oberlandesgerichtsbezirke – Köln, Düsseldorf, Hamm und vor allem Koblenz – haben übereinstimmend von der großen Solidarität und bewundernswerten Einsatzbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der von der Katastrophe getroffenen Amtsgerichte wie auch der umliegenden Gerichte berichtet. Es bestand Einigkeit darüber, dass die Geschehnisse einer Analyse bedürfen und aus den Ereignissen Schlussfolgerungen für die Zukunft gezogen werden sollen. Ein besonderes Augenmerk wird auf den Schutz der Gebäudetechnik einschließlich der IT-Infrastruktur der Gerichte zu richten sein.
Den Beschluss der Präsidentinnen und Präsidenten zum Rechtsstaatspakt 2.0 finden Sie hier, den zum Umgang mit Massenverfahren hier.
Bereits am 8. Juni 2021 haben die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs im Wege der Onlinekonferenz zu dem Thema „Modernisierung des Zivilprozesses“ getagt. Die Ergebnisse der Onlinetagung sind in der Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. Juni 2021 veröffentlicht.
Ergänzender Hinweis:
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland. In den Bundesländern gibt es insgesamt 24 Oberlandesgerichte sowie das Bayerische Oberste Landesgericht in München. Die Oberlandesgerichte haben ihren Sitz in Bamberg, Brandenburg an der Havel, Braunschweig, Bremen, Celle, Düsseldorf, Dresden, Frankfurt am Main, Hamburg, Hamm, Jena, Karlsruhe, Koblenz, Köln, München, Naumburg an der Saale, Nürnberg, Oldenburg, Rostock, Saarbrücken, Schleswig, Stuttgart und Zweibrücken. Das „Oberlandesgericht“ Berlin trägt traditionsgemäß die Bezeichnung „Kammergericht“.