Im Verfahren 5 U 1139/23 wurde der eingesetzte Impfstoff im Januar 2021 bedingt zugelassen. Nach der Zulassung des Impfstoffes wurden vereinzelt Fälle von thromboembolischen Ereignissen bei Anwendern gemeldet, einschließlich Thrombosen an ungewöhnlichen Stellen. Eine beschleunigte Untersuchung hat nach Ansicht der am Zulassungsverfahren beteiligten Institutionen zu dem Ergebnis geführt, dass die Vorteile des Impfstoffes die Risiken überwiegen. Die Standardzulassung für den Impfstoff wurde durch die Europäische Kommission Ende Oktober 2022 erteilt.
Die als Ärztin tätige Klägerin erhielt den im Februar 2021 in Verkehr gebrachten Impfstoff aufgrund eines vom Arbeitgeber vereinbarten Impftermins am 5. März 2021 verimpft. Eine Wahl, welcher Impfstoff verwandt wird, bestand zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Klägerin macht für die Zeit nach der Impfung im Schwerpunkt Taubheitsgefühle im Finger- und Handbereich sowie Taubheitsgefühle rund um das Ohr mit dem Ertauben des rechten Ohrs sowie damit in Zusammenhang stehende Nebenwirkungen und Beeinträchtigungen geltend. Sie
- bestreitet das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffes,
- rügt eine unrichtige Fachinformation und
- führt ihre Gesundheitsschäden auf den Impfstoff zurück.
Vor diesem Hintergrund verlangt sie von dem Hersteller des Impfstoffes immateriellen Schadensersatz (Schmerzensgeld) in Höhe von 150.000 € und die Feststellung der Einstandspflicht für alle materiellen Schäden. In der Berufungsinstanz wurde die Klage um Auskunftsansprüche erweitert. Die beklagte Herstellerin betont demgegenüber das – institutionell durch die Zulassungsbehörde festgestellte - positive Nutzen-Risiko-Verhältnis und bestreitet den Zusammenhang der Gesundheitsschäden mit der Impfung. Auch habe sie stets zutreffend über alle relevanten Nebenwirkungen informiert.
Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung der Klägerin abgewiesen. Es bestehe weder ein Anspruch nach dem Produkthaftungsgesetz noch nach § 84 Arzneimittelgesetz oder den zivilrechtlichen Vorschriften über die unerlaubte Handlung. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, der die Beklagte entgegentritt.
Im Verfahren 5 U 1375/23 erhielt der eingesetzte Impfstoff Comirnaty Ende Dezember 2020 eine bedingte zentrale arzneimittelrechtliche Zulassung und im Oktober 2022 eine Standardzulassung. Die Klägerin erhielt am 31. August 2021 die erste und am 30. September 2021 die zweite Impfung.
Die Klägerin behauptet im Wesentlichen, wenige Tage nach der ersten Impfung unter starken Kopfschmerzen und einem immer intensiveren Schwindel gelitten zu haben. Diese Symptome hätten sich nach der zweiten Impfung noch verstärkt. Sie leide daran bis heute, habe ein unsicheres Gangbild und sei fallgeneigt und müsse regelmäßig gestützt werden. Dies führe zu erheblichen Folgebeeinträchtigungen, insbesondere auch in Bezug auf ihre Belastbarkeit. Die Klägerin verlangt immateriellen Schadensersatz von 100.000 €, die Feststellung der materiellen Ersatzpflicht des Herstellers und – ebenso in der Berufungsinstanz klageerweiternd – Auskunft. Die Herstellerin tritt dem entgegen.
Die aufgeworfenen Streitfragen entsprechen denen des Verfahrens 5 U 1139/23. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin verfolgt ihre Ansprüche mit der Berufung weiter.
Es wird in beiden Verfahren festzustellen sein, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 84 Arzneimittelgesetz vorliegen und die ursächliche Verbindung von Impfung und Gesundheitsschäden besteht. Ferner ist zu klären, ob den Klägerinnen ein Auskunftsanspruch gemäß § 84a Arzneimittelgesetz gegen die jeweilige Herstellerin des Impfstoffs zusteht.
Wesentliche Anspruchsgrundlagen der Klagebegehren sind § 84 Arzneimittelgesetz, der eine verschuldensunabhängige sogenannte Gefährdungshaftung postuliert, sowie § 84a Abs. 1 Arzneimittelgesetz, der den Auskunftsanspruch gegen den Hersteller regelt.
Die Vorschriften lauten:
§ 84 Gefährdungshaftung
(1) 1Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. 2Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn
1. das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder
2. der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.
(2) 1Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist. 2Die Eignung im Einzelfall beurteilt sich nach der Zusammensetzung und der Dosierung des angewendeten Arzneimittels, nach der Art und Dauer seiner bestimmungsgemäßen Anwendung, nach dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schadenseintritt, nach dem Schadensbild und dem gesundheitlichen Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Anwendung sowie allen sonstigen Gegebenheiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensverursachung sprechen. 3Die Vermutung gilt nicht, wenn ein anderer Umstand nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. 4Ein anderer Umstand liegt nicht in der Anwendung weiterer Arzneimittel, die nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet sind, den Schaden zu verursachen, es sei denn, dass wegen der Anwendung dieser Arzneimittel Ansprüche nach dieser Vorschrift aus anderen Gründen als der fehlenden Ursächlichkeit für den Schaden nicht gegeben sind.
(3) Die Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 ist ausgeschlossen, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels ihre Ursache nicht im Bereich der Entwicklung und Herstellung haben.
§ 84a Auskunftsanspruch
(1) 1Liegen Tatsachen vor, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat, so kann der Geschädigte von dem pharmazeutischen Unternehmer Auskunft verlangen, es sei denn, dies ist zur Feststellung, ob ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 84 besteht, nicht erforderlich. 2Der Anspruch richtet sich auf dem pharmazeutischen Unternehmer bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können. 3Die §§ 259 bis 261 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind entsprechend anzuwenden. 4Ein Auskunftsanspruch besteht insoweit nicht, als die Angaben auf Grund gesetzlicher Vorschriften geheim zu halten sind oder die Geheimhaltung einem überwiegenden Interesse des pharmazeutischen Unternehmers oder eines Dritten entspricht.